Orofaziale Dysfunktionen

Orofaziale Dysfunktionen

Kennt ihr das? Ihr seht ein Kind, vielleicht im Supermarkt, auf dem Spielplatz oder in der Kindergartengruppe Eures Kindes, oder ihr schaut euer eigenes an und denkt…ach dieses Kind sieht aber wirklich traurig und müde aus! Die Augen hängen und dunkle Augenränder zeigen sich darunter und überhaupt wirkt das ganze Gesicht irgendwie „hängend“!! Nun ja, es kann sein, dass dieses Kind wirklich traurig oder müde ist, es kann aber auch sein, dass sich Euch da der Anblick einer myofunktionellen Störung, oder auch orofazialen Dysfunktion, bietet!

Was ist das eine myofunktionelle oder orofaziale Störung? Dies ist ein Störungsbild, welches mir als Logopädin sehr häufig begegnet und es ist gekennzeichnet durch ein Muskelungleichgewicht in der Zungen- und Lippenmuskulatur, aber auch der gesamten Gesichtsmuskulatur.

Wie zeigen sich die Symptome einer myofunktionellen Störung und wie erkenne ich als Eltern die Anzeichen dafür?

  • hypotone (schlaffe) Gesichtsmuskulatur
  • offene Mundhaltung, fehlender Lippenschluss
  • Mundatmung
  • verkürzte Oberlippe
  • „Nadelkisseneffekt“ am Kinn
  • Zunge liegt flach im Mundboden
  • hoher, spitzer Gaumen
  • Einschränkung der orofazialen Muskulatur in Bezug auf Kraft, Beweglichkeit und Koordination
  • Probleme beim Kauen, evtl. Schmatzen
  • infantiles Schluckmuster, d.h. die Zunge stößt beim Schlucken nach vorn

Myofunktionelle Störungen können unbehandelt für ein Kind Folgen haben und bürgen Risiken…

Welche Folgen können nicht behandelte myofunktionelle, oder auch funktionelle orofaziale Störungen haben?

  • es kann zu einer gestörten Kau-, Beiß- und Schluckentwicklung kommen
  • es kann zu Kiefer-/ Zahnfehlstellungen kommen, auf Grund des ständigen Vorstoßes der Zunge gegen die Zähne beim Schlucken („Tongue thrust“)… und wir schlucken bis zu 2000 mal am Tag!!!
  • es können Kiefergelenksprobleme auftreten
  • es kann sich grundsätzlich ein vermehrter Speichelfluss, mit regelrechtem „Sabbern“ aus dem Mund zeigen
  • es kann zu Aussprachestörungen kommen, die die Laute /sch/ und /s/ betreffen, jedoch kann sich auch eine multiple Ad- oder Interdentalität beim Sprechen zeigen
  • es kann zu einer unausgeglichenen Muskelbalance im Mund-, Gesichts- und Halsbereich kommen, welche sich letztendlich auch auf die gesamte Körperspannung und -haltung auswirken kann
  • die stetige Mundatmung bringt ein höheres Infektionsrisiko mit sich, da die Filterung, Erwärmung und Anfeuchtung der eingeatmeten Luft fehlt

Logopädische Therapie bei offener Mundhaltung

Manchmal müssen zu Beginn der Behandlung des Lippenschlusses ggf. bestehende Habits (wie Nägelkauen, Daumenlutschen, Lippen reiten, Schnuller etc.) abgebaut werden. Das Abgewöhnen kann u.a. mit logopädischen Hilfsmitteln wie der Mundvorhofplatte, dem Face Former, dem LWZ-Trainer etc. unterstützt werden.

In der Therapie werden aufgrund der allgemeinen Muskelschwäche und des Muskelungleichgewichts im Gesicht zuerst alle Gesichtsmuskeln gekräftigt und koordiniert. Der Fokus liegt allerdings auf der Stärkung und/oder Harmonisierung der Lippenmuskulatur und der Anbahnung und Generalisierung der Nasenatmung in den Alltag. Zuletzt werden aufgrund der offenen Mundhaltung bestehende falsche Zungenruhelage und falsches Schluckmuster korrigiert.

Durch die Aufhebung der offenen Mundhaltung, Anbahnung der korrekten Zungenruhelage und des korrekten Schluckmusters verändert sich der Gesichtsausdruck positiv, wird symmetrisch und die Zahnbeschaffenheit und die Zahnstellung wird nicht mehr negativ beeinflusst und eventuell durchzuführende kieferorthopädische Maßnahmen können wirken oder sind im besten Fall gar nicht mehr erforderlich.

Eine offene Mundhaltung bei Kleinkindern, sowie größeren, ist nicht physiologisch und sie „verwächst“ sich auch nicht einfach so. Eine offene Mundhaltung kann unangenehme Folgen für die Betroffenen haben.

Folgen von offener Mundhaltung

  • Speichel gelangt nicht zu den Frontzähnen, dadurch kommt es zu einem hohen Risiko von Kariesbildung
  • es kommt zu keinem physiologischen Lippendruck auf die Frontzähne, dadurch kann es zu Zahnfehlstellungen kommen
  • die Zungenruhelage befindet sich nicht am Gaumen, sondern die Zunge liegt schlaff am Mundboden, an den Zähnen oder zwischen den Zähnen, das kann ebenfalls Zahnfehlstellungen verursachen
  • es wird durch den Mund geatmet, das bedeutet die Atemluft wird nicht gefiltert, befeuchtet und erwärmt, dies bürgt eine höhere Infektanfälligkeit, sowie das Risiko von Atemwegserkrankungen
  • durch Mundatmung, kann es zu einer geringeren Sauerstoffsättigung im Blut kommen, dies bürgt ein Risiko von verringerter Leistungsfähigkeit, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsschwäche, sowie Schlafstörungen und Tagesmüdigkeit
  • durch die fehlende Nasenatmung, fehlt die Belüftung der Nasennebenhöhlen, dies kann zu einem eingeschränkten Wachstum dieser und übermäßiger Schleimbildung führen
  • es kann zu einem Lymphstau im Gesichtsbereich kommen
  • durch die Einschränkung der Lippen- und Zungenmuskulatur, kann es zu einem Muskelungleichgewicht im Gesicht und Gesichtsasymmetrie kommen
  • die durch die Mundatmung bedingten vermehrten Infekte, können sich auf das Hörvermögen und die Sprachentwicklung des Kindes auswirken

Wie ihr seht, können eine offene Mundhaltung und eine damit einhergehende Mundatmung viele, teils auch schwere Folgen mit sich bringen. Hier lohnt sich auch mit den Kleinsten schon der Weg zum Logopäden, um vorzubeugen und zu behandeln.

Kommentar verfassen