Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen

Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen

Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen, ein komplexes und umfangreiches, leider auch oft verkanntes Gebiet in der logopädischen Therapie von Kindern und Erwachsenen. Steigen wir sanft ein in dieses Thema und klären erst einmal die grundlegenden Begrifflichkeiten!

Auditiv, was bedeutet das? Übersetzen kann man es so: den Gehörsinn betreffend oder  darauf beruhend…

Auditive Wahrnehmung, was ist das? Dieser Begriff beschreibt die Wahrnehmung von Schall, also von Tönen, Klängen und Geräuschen. Die Entwicklung und Ausreifung dieser dauert bis ins Jugendalter an.

Nicht selten kommt es zu Problemen mit der auditiven Wahrnehmung und dann sprechen wir von einer auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung. Diese liegt vor, wenn das Hörorgan im Ohr normal funktioniert, aber das zentrale Hören und das Hörverständnis gestört sind. Zentral bedeutet den Hörnerv und das Gehirn betreffend. Betroffenen fehlt die Fähigkeit Laute zu unterscheiden, akustische Signale zu erkennen und zu verstehen. Auch das Lokalisieren von Lauten ist gestört…

Menschen mit einer auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung haben Schwierigkeiten Sprache richtig zu erlernen!

Ursachen

Die Ursachen auditiver Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen sind im individuellen Fall leider häufig nicht auszumachen. Es kommen einige Faktoren in Frage.

  • Genetisch bedingte neurobiologische Abweichungen
  • gestörte neuronale Prozesse
  • Defizite der Verarbeitungsschnelligkeit
  • Traumata des Zentralnervensystems
  • Meningitis
  • Neurologische Läsionen (Verletzung von Nervengewebe)
  • Reifungsstörungen der zentralen Hörbahn, bedingt durch Schwerhörigkeit, mangelnde auditive Stimulation, mangelndes Lernangebot
  • Eine Unterversorgung während der Schwangerschaft oder unmittelbar danach
  • Ungünstige akustische Einflüsse, z.B. Überschall, zu lautes Umfeld

Symptome

Kommen wir zu den Symptomen einer AVWS. Es sollten mindestens zwei der aufgeführten Erkennungszeichen vorhanden sein, wenn das Störungsbild zugewiesen wird.

  • Störungen der Unterscheidung und des Erkennens von Schallreizen, das nennt man Diskriminations-und Identifikationsstörung
  • Störungen der Ortung von Schallreizen, das nennt man Lokalisationsstörung
  • Störungen der Interaktion zwischen den beiden Ohren, das nennt man Störungen des dichotischen Hörens
  • Störungen der Unterdrückung von Störschall, das nennt man Selektionsstörung
  • Störungen bei der Hinwendung und bewussten Wahrnehmung von auditiven Stimuli, das nennt man auditive Aufmerksamkeitsstörung
  • Störungen beim Merken von auditiven Stimuli, das nennt man Speicher- und/oder Sequenzierungsstörung
  • Störungen bei der Segmentierung oder der Zusammensetzung auditiver Stimuli, das nennt man Analyse- und Synthesestörung

Das mag alles sehr kompliziert klingen, deshalb möchte ich einige Beispiele aus dem Alltag in der Praxis, oder durchaus auch aus dem Leben betroffener Kinder geben.

Kinder, die häufig nicht auf Ansprache reagieren, abschweifen, unruhig werden, sich leicht ablenken lassen, oder bereits früh nach Schulbeginn ermüden und einen Leistungsabfall zeigen, zeigen Hinweise für eine auditive Aufmerksamkeitsstörung. Kinder die eine „unsichtbare“ Schallquelle nicht finden, oder z.B. Orientierungsschwierigkeiten im Straßenverkehr haben, zeigen Hinweise für eine Schalllokalisationsstörung. Kinder, deren Lernschwierigkeiten sich mehren bei Lautstärkepegel, oder starke Ermüdung durch den Schulalltag, oder ein erschwertes Sprachverstehen bei Stimmengewirr zeigen, geben Hinweise auf eine auditive Selektionsstörung. Kinder, die schlecht singen, kein Rhythmusgefühl haben, denen Tonhöhen- und Lautsstärkenunterscheidung schwerfällt und die die eigene Lautstärke nicht gut an den Umgebungsschall anpassen können, geben Hinweise auf eine auditive Diskriminationsstörung. Und Kinder, die oft auftretende „Verhörer“, Schwierigkeiten mit dem Erlernen der Buchstaben und häufiges Verwechseln der Buchstaben zeigen, geben Hinweise auf eine Lautdiskriminationsstörung.

Auditive Teilleistungsstörungen kommen nicht nur im Rahmen eines auditives Störungskomplexes vor, sondern auch als Symptome von Sprachentwicklungsstörungen und Schriftspracherwerbsstörungen. Störungen der auditiven Wahrnehmung können ein möglicher Teil einer SES (Sprachentwicklungsstörung), ein Risikofaktor für rezeptive und expressive Sprachentwicklung, sowie ein Risikofaktor für die Entstehung einer Lese-Rechtschreibstörung sein.

Diagnostik

Habe ich als Therapeutin nun den Verdacht, dass ein Kind eine auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung hat, oder wird ein Kind auf Grund ärztlichen Anratens zu mir in die Praxis geschickt, dann werden in einem anamnestischen Gespräch mit den Eltern und je nach Alter mit dem Kind selbst, die folgenden Themen behandelt und besprochen:

  • wie ist das Zuhören im Alltag
  • wie in der Schule
  • wie sind die Schulleistungen insgesamt
  • wie sind die Lese- und Schreibleistungen
  • wie sind gedächtnisbezogene Lernleistungen
  • wie ist das Antwort- und Nachfrageverhalten bei Ansprache
  • wie ist die Beteiligung an Gesprächen, an denen mehr als zwei Leute beteiligt sind
  • wie ist die Konzentrationsfähigkeit
  • wie ist das Interesse an Musik, Hörspielen, dem Radio
  • wie ist die subjektive Orientierung in lauter Umgebung wie imKaufhaus, in Gaststätten, auf Feiern, in Bahnhofsgebäuden, vorm laufenden Fernseher, im Klassenzimmer während der Pause

Eine interdisziplinäre Diagnostik bzw. die Ausschlussdiagnostik allgemeiner Entwicklungsstörungen oder anderer Störungsbilder sollte vom verantwortlichen Pädiater/Pädiaterin koordiniert werden und gegebenenfalls mit Ärzten aus den Fachbereichen Kinder- und Jugendpsychiatrie oder Phoniatrie/ Pädaudiologie abgestimmt werden.

Eine Diagnostik auditiver und metasprachlicher Teilleistungen ist das Aufgabengebiet der Logopäd*innen und Sprachtherapeut*innen, sowie der Psycholog*innen. In Fachbüchern findet man häufig Anamnesebögen für die Praxen, oder auf der Internetseite der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie habe ich einen Anamnesebogen zur Erfassung einer AVWS gefunden, der als Fragebogen für Eltern eingesetzt werden kann.

Ebenso gibt es zahlreiche Tests und Untertests aus Diagnostikverfahren, welche individuell eingesetzt werden können. Hier jetzt alle zu nennen sprengt den Rahmen.

Therapie

Für eine Behandlung in den Bereichen der auditiven Wahrnehmung und Sprachbewusstheit gibt es drei häufige Indikationen:

  • es wurde eine AVWS diagnostiziert
  • es wurden auditive Teilleistungsstörungen im Rahmen einer SES diagnostiziert
  • es wurden auditive Teilleistungsstörungen und Defizite der Sprachbewusstheit im Rahmen einer LRS diagnostiziert

Die Zielsetzung für eine Therapie orientiert sich stark an den festgestellten auffälligen Teilleistungen. Diese sollen bewusst gemacht, geübt und ausgeglichen werden. Die Therapieplanung orientiert sich an der Diagnostik und die jeweiligen Aufgabenstellungen werden in einen motivierenden Spiel- und Übungsaufbau übertragen.

Es gibt wirklich ein sehr umfang- und facettenreiches Angebot an Therapiemöglichkeiten. Ich möchte hier nur einige Impulse und Ideen geben…

  • Erkennen von Instrumenten
  • Erkennen von Geräuschen und Klängen
  • Lautstärkeunterscheidung
  • Lauschspiele mit Lautstärkenvariationen
  • Suchen von Geräuschquellen im Raum
  • Geräuschememory
  • Lernen von Sprechversen
  • Minimalpaardifferenzierung
  • Kofferpacken
  • Merken von Zahlreihen
  • Geschichte erfassen und darüber erzählen
  • Reime erkennen
  • , usw., usw….

Ich möchte Eltern Folgendes ans Herz legen, mit der Förderung und Unterstützung der auditiven Wahrnehmung kann nicht früh genug begonnen werden! Auf nicht-sprachlicher und sprachlicher Ebene gibt es soooo viele wunderbare Möglichkeiten. Auch in den Therapien von Kindern sollte die auditive Verarbeitung und Wahrnehmung immer einen Raum finden, denn die Behandlung auditiver Wahrnehmungsstörungen kann als Prävention von Schriftspracherwerbsstörungen gesehen werden und das ist evidenzbasiert.

Eine Spielidee zur Förderung der auditiven Wahrnehmung

Ein Geräuschmemory ist ganz einfach selbst gemacht und eine tolle Spielidee, um die auditive Wahrnehmung zu trainieren. Was es dafür braucht? Gar nicht viel… ein paar unverderbliche Dinge und Gegenstände, die sich in jedem Haushalt finden lassen und kleine blickdichte Dosen (in meinem Fall sind es alte Fotofilmdosen). Es werden immer zwei Dosen gleich befüllt und diese sind dann somit ein Pärchen. Die gesamte Pärchenanzahl kann man selbst für sich festlegen und man kann sie auch mit steigendem Alter des Kindes ebenfalls steigern. Und dann geht´s los… durch schütteln und lauschen werden Pärchen gesucht. Gehör und die auditive Wahrnehmung werden auf spielerische Art und Weise geschult und trainiert und das mit hohem Spaßfaktor, das kann ich versprechen!

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