Was hat es damit auf sich?
Das kindliche Regelsystem der Lautverwendung ist noch nicht mit dem eines Erwachsenen zu vergleichen. Es ist eigenständig und durch Vereinfachungen gekennzeichnet. Diese Vereinfachungen nennt man phonologische Prozesse.
Im Groben lassen sich drei phonologische Prozesse unterscheiden:
- Silbenstrukturprozess: das Kind verändert die Silben- und damit Wortstruktur, indem es Laute oder Silben auslässt oder hinzufügt. ( „fant“ statt „Elefant“, „nane“ statt „Banane“ )
- Harmonisierungs- oder Umgebungsprozess: Die Laute innerhalb eines Wortes werden bezüglich ihrer Bildung aneinander angeglichen. ( „faf“ statt „Schaf“, „pomm“ statt „komm“, „kreppe“ statt „Treppe“ )
- Ersetzungsprozesse: Das Kind ersetzt Laute oder ganze Lautgruppen. ( „tatze“ statt „Katze“, „dabel“ statt „Gabel“, „siff“ statt „Schiff“, „mils“ statt „Milch“ )
Es ist davon auszugehen, dass der Erwerb des phonologischen Regelsystems mit 4 bis 4;6 Jahren weitgehend abgeschlossen ist. Bis zum Alter von 5;0 Jahren können phonologische Prozesse allerdings noch in vereinzeltenWörtern auftreten. Der Erwerb des phonologischen Regelwissens erstreckt sich über viele Jahre und gleichzeitig differenziert das Kind auch seine artikulationsmotorischen Fähigkeiten aus, d.h. seine Sprechwerkzeuge lernen immer genauer die Laute der Muttersprache an ihren entsprechenden Bildungsorten zu produzieren. Nicht alle Laute werden gleichzeitig gelernt, sondern nach und nach. So werden Laute wie z.B. das /m/, /p/ und /b/ deutlich vor den Lauten /sch/, /s/ oder /z/ gelernt und korrekt im Wort eingesetzt. Darauf gilt es auch in der Diagnostik genauestens zu schauen und macht pauschale Aussagen wie „Eine Logopädin kann erst mit einem 5-jährigen Kind etwas anfangen.“ zu falschen Aussagen!!!
Phonetik vs. Phonologie
Mit dem Wissen über die physiologische Lautentwicklung beim Kind, lassen sich mögliche Lautbildungs- und Lautverwendungsfehler leicht nachvollziehen. Lautbildungsfehler lassen sich in den phonetischen Störungen zusammenfassen, Lautverwendungsfehler in den phonologischen Störungen.
𝓹𝓱𝓸𝓷𝓮𝓽𝓲𝓼𝓬𝓱𝓮 Störung: Wenn ein Kind einen Laut durch einen nicht-muttersprachlichen ersetzt oder ihn konstant fehlbildet, dann sprechen wir von einer phonetischen Störung. Man kann davon ausgehen, dass das Kind Schwierigkeiten in der motorischen Umsetzung des Lautes hat. ( der Sigmatismus, oder umgangssprachlich das Lispeln, ist ein Beispiel für eine oft anzutreffende phonetische Störung )
𝓹𝓱𝓸𝓷𝓸𝓵𝓸𝓰𝓲𝓼𝓬𝓱𝓮 Störung: Wenn ein Kind erworbene Laute artikulationsmotorisch bilden kann, sie aber im Regelsystem nicht korrekt anwendet, dann sprechen wir von einer phonologischen Störung.
( ein Beispiel dafür ist das Ersetzen des Lautes /K/ durch ein /T/; so wird aus dem „Kamel“ ein „Tamel“ oder aus der „Kirsche“ eine „Tirsche“ ) Phonologische Störungen können sich in einfacher, aber auch sehr komplexer Form zeigen.

Anhand des Lautes /sch/ werde ich einmal konkret zeigen, wie sich eine phonetische und eine phonologische Störung darstellen kann!
Der Begriff Aussprachestörung umfasst phonetische und phonologische Störungsaspekte.
𝓹𝓱𝓸𝓷𝓮𝓽𝓲𝓼𝓬𝓱𝓮𝓻 Aspekt: die motorische Fertigkeit, einen Laut zu artikulieren, ist nicht gegeben. Es handelt sich um eine Lautbildungs- und damit Sprechstörung.
𝓹𝓱𝓸𝓷𝓸𝓵𝓸𝓰𝓲𝓼𝓬𝓱𝓮𝓻 Aspekt: die Fähigkeit, einen artikulatorisch richtig gebildeten Laut korrekt im Wort anzuwenden, ist eingeschränkt. Es handelt sich dann um eine Lautverwendungs- und damit Sprachstörung.
Das /sch/ ist ein stimmloser Frikativ, das bedeutet ein Reibe- oder Engelaut und wird in der mittleren und hinteren Artikulationszone gebildet. Es ist der Laut, dem in Bezug auf Lautbildung und Lautverwendung die längste Zeit gegeben wird. Mit 4;6 bis 5;0 Jahren sollte er aber korrekt gebildet und angewendet werden.
Ist das /sch/ durch einen phonetischen Störungsaspekt beeinträchtigt, dann sprechen wir von einem Schetismus. Das bedeutet, dass der Laut fehlerhaft artikuliert wird, z.B. entweicht der Luftstrom seitlich und dann kommt es umgangssprachlich zum sogenannten „Hölzeln“. Denkt jetzt einmal alle an den Komiker Paul Panzer, dann habt ihr eine genaue Vorstellung.
Ist das /sch/ durch einen phonologischen Störungsaspekt beeinträchtigt, so sprechen wir von einem Ersetzungsprozess. Der mir in der Behandlung am häufigsten erschienene phonologische Prozess das /sch/ betreffend, ist die Vorverlagerung. Das bedeutet das /sch/, als ein Laut der mittleren oder hinteren Artikulationszone, wird durch einen Laut der vorderen Artikulationszone ersetzt. Am häufigsten wird es durch ein stimmloses /s/ ersetzt, z.B.: Schuh —> Suh, Schaukel —> Saukel, Schaf —> Saf .
Ist das /s/ zusätzlich zum /sch/ betroffen und wird interdental gebildet (also gelispelt), dann haben wir sogar einen phonologischen UND einen phonetischen Störungsaspekt.
Werden phonetische oder phonologischen Störungsaspekte in einem vorgegebenen Zeitfenster vom Kind nicht allein überwunden werden, sollte eine logopädische Behandlung angestrebt werden.