Im Buch „Ein Kind im Wachkoma“ von Christa von Kietzell- Scheunemann habe ich folgende Definition gefunden…
„Im Gegensatz zum Koma liegen die Patienten scheinbar wach im Bett, sind aber nicht durch äußere Reize erreichbar. Der Blick geht starr und unfixiert ins Leere. Man nimmt an, dass es zu einer „Entkopplung“ der Großhirnrinde vom restlichen Gehirn, insbesondere vom Hirnstamm, kommt. Die vom Hirnstamm gesteuerten Funktionen des vegetativen Nervensystems (autonomes Nervensystem, welches die Abläufe im Körper regelt, die man nicht mit dem Willen steuern kann; es ist ständig aktiv und reguliert beispielsweise Atmung, Herzschlag, Stoffwechsel und Schlafwachrhythmus), sowie einige Reflexe bleiben teilweise erhalten. Dagegen sind keine zielgerichteten Muskelbewegungen erkennbar. Auch die differenzierte Empfindungsfähigkeit und die Weiterverarbeitung von Sinnenreizen sind ausgefallen. Der medizinische Ausdruck für Wachkoma heißt Apallisches Syndrom.“ und seit einiger Zeit spricht man auch vom „Syndrom reaktionsloser Wachheit“…
Das Apallische Syndrom ist in der Regel immer die Folge einer schweren Hirnschädigung. Am häufigsten entsteht es durch Sauerstoffmangel (Hypoxie), nach einem Kreislaufstillstand oder auch durch ein Schädel-Hirn-Trauma. Weiterhin können Gehirntumore, Parkinson-Syndrome, Meningitis oder Schlaganfälle zum Zustand des Wachkomas führen. Ebenso kann eine dauerhaft anhaltende Unterzuckerung der Auslöser sein.

Das Locked-in-Syndrom (LiS) ist eine seltene Folge einer schweren Schädigung bzw. Funktionsstörung des Hirnstamms. Ursachen eines solchen Syndroms können ein Schlaganfall, eine Schädel-Hirnverletzung, eine Krebserkrankung oder andere neurologische Erkrankungen sein. Die Betroffenen eines Locked-in-Sydroms sind sinnbildlich bei vollem Bewusstsein in ihrem Körper „eingesperrt“ (engl. locked in). Sie können sich weder bewegen noch sprechen oder schlucken, meist aber selbstständig atmen. Nur wenige Muskeln, welche die Augenbewegungen kontrollieren, sind von der Lähmung nicht betroffen. Über diesen Weg ist somit die Kommunikation mit der Umwelt möglich. Die kognitiven Fähigkeiten, das Sehen und Hören sind meist nicht beeinträchtigt. Bei „Locked-in“ Betroffenen besteht keine Bewusstseinsstörung, jedoch ist die gesamte Körper-, Gesichts-, Schluck-, Sprechmuskulatur gelähmt. Es können willkürlich nur noch die Augen nach oben und unten bewegt (vertikale Augenbewegungen) und das Augenlid angehoben werden. Da das Großhirn nicht geschädigt ist, können die Patient*innen klar denken und sind in ihrer Wahrnehmung nicht beeinträchtigt. Das bedeutet, dass sie Berührungen und Schmerzen spüren und alles um sich herum wahrnehmen. Während beim Wachkoma bzw. apallischen Syndrom die Funktionen des Großhirns schwer beeinträchtigt sind, ist der Hirnstamm weitgehend intakt. Beim Locked-In-Syndrom ist es genau umgekehrt. Hier sind die Großhirnfunktionen erhalten, dagegen liegen schwere Schädigungen des Hirnstamms vor. Im Wachkoma ist also der Kontakt zur Umwelt und deren Wahrnehmung nicht möglich. Beim Locked-in-Syndrom ist die Wahrnehmung erhalten und die Kommunikation der Betroffenen kann über Augenbewegungen erfolgen.
In meiner bisherigen Zeit als Logopädin hatte ich eine Patientin, die sich nach einem Schlaganfall im Locked-In-Syndrom befand… jedoch hat es eine Zeit gedauert, bis das erkannt wurde!

Der Begriff „Koma“ stammt aus dem Griechischen. Er bedeutet soviel wie „tiefer Schlaf“. Ein Mensch im Koma lässt sich nicht mehr aufwecken und reagiert nur sehr eingeschränkt bis gar nicht mehr auf äußere Reize wie Licht oder Schmerz. Im tiefen Koma bleiben die Augen fast immer geschlossen. Ein Koma ist die schwerste Form einer Bewusstseinsstörung. Seit moderne bildgebende Verfahren Einblick in die Hirnaktivitäten erlauben, hat sich das Verständnis vom Zustand des Komas grundlegend verändert. Es zeigt sich immer deutlicher, dass die Grenzen zwischen aktivem Bewusstsein und Koma fließend sind. Abhängig von der Tiefe des Komas unterscheidet man vier Komastufen:
Leichtes Koma, Stufe I: Die Patienten reagieren auf schmerzhafte Reize noch mit gezielten Abwehrbewegungen. Ihre Pupillen ziehen sich bei Lichteinfall zusammen.
Leichtes Koma, Stufe II: Die Patienten wehren Schmerzreize nur ungezielt ab. Der Pupillenreflex funktioniert.
Tiefes Koma, Stufe III: Der Patient zeigt keine Schmerzabwehrreaktion mehr, sondern lediglich ungezielte Bewegungen. Die Pupillenreaktion funktioniert nur schwach.
Tiefes Koma, Stufe IV: Der Patient zeigt überhaupt keine Schmerzreaktion mehr, die Pupillen sind geweitet und reagieren nicht auf Lichteinfall.
Ein Koma kann direkt durch eine Verletzung (zB. Schädel-Hirn-Trauma) oder Erkrankung (z.B. Schlaganfall, Tumorerkrankung oder andere neurologische Erkrankungen) des Gehirns ausgelöst werden. Manchmal münden aber auch schwere Stoffwechselentgleisungen in einem Koma. Außerdem können Vergiftungen durch Drogen oder andere Gifte die Ursache der tiefen Bewusstlosigkeit sein.

Längst hat sich Logopädie in der Behandlung von Menschen im Wachkoma, oder dem „Syndrom reaktionsloser Wachheit“ etabliert. Dennoch ist es eine große Herausforderung mit Menschen zu arbeiten, die nicht in der Lage sind aktiv zu kooperieren und eindeutig Rückmeldung zu geben.
Wo liegt nun das Aufgabenfeld der Logopädie in der Therapie von Patient*innen im Wachkoma? Die Atmung, die mimische Ausdrucksfähigkeit, die Kiefer- und Mundöffnung und das Schlucken (von Speichel) sind meist schwer beeinträchtigt. Willkürliche Stimmbildung, Sprechen, Essen und Trinken sind ebenfalls meist stark eingeschränkt. Die Patient*innen können sich selbst nicht berühren, oder zielgerichtet bewegen und sind völlig auf Hilfe von außen angewiesen. Schädigungen wie z.B. eine Hypersensibilität (hyper bedeutet immer mehr an etwas, hypo weniger… also Überempfindlichkeit) am Körper und besonders im Gesichts- und Mundbereich sind vorprogrammiert. Patient*innen mit schweren Hirnschädigungen, was ja eine Ursache für ein Wachkoma sein kann, haben komplexe, körperliche Probleme. Auch im Fazio-oralen Trakt treten diese auf. Neben möglichen Lähmungen der Zunge oder des Rachens, beeinflussen die Störungen von Haltung, Bewegung und Tonus die Atmung und das Schlucken nachhaltig (Nusser-Müller-Busch & Coombes 1999) und machen willkürliche Stimmgebung, das Sprechen, Essen und Trinken unmöglich. Hier setzen wir an… Auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Ärzt*innen, Therapeut*innen und Pflegepersonal hat einen besonderen Stellenwert und erfordert eine klare fachliche Positionierung des/der Logopäden/in.
Die Therapie ist für uns Logopäd*innen aber bei weitem nicht die „Klassische“, die wir vielleicht aus Ausbildung und Studium kennen. Unsere Ziele müssen ganz anders gesteckt werden und das Vorgehen erfordert sehr viel Fingerspitzengefühl und muss sich in erster Linie auf das eigene Urteilsvermögen stützen! Das ist manchmal gar nicht so einfach, besonders dann, wenn der Spielraum der therapeutischen Möglichkeiten und die Vorstellungen und Wünsche der Angehörigen weit auseinanderdriften…

Dieser Beitragstext ist ein Auszug aus dem Buch „Wachkoma“ von Peter Nydahl, in dem Annett Horn über eine durchgeführte Untersuchung mit Angehörigen im Zuge einer Promotionsarbeit berichtet. Ich persönlich empfinde die Angehörigenarbeit als sehr wichtig, denn diese sind genauso wie der wachkomatöse Mensch an ihrer Seite, Betroffene. „Die Untersuchung zeigt, dass Angehörige wachkomatöser Menschen direkt nach dem Ereignis traumatisiert sind und in Angst um das Überleben des Betroffenen leben. Sie sind geschockt, hilflos und unsicher und erleben eine Krisensituation. (…) Haben Angehörige diese Krisensituation überstanden, realisieren sie, dass der Betroffene sie braucht. Sie erkennen, dass die Betroffenen allein durch ihre Anwesenheit…z.B. ruhiger werden und sie schlussfolgern daraus, dass sie für sie sehr wichtig sind. Die Betroffenen werden zum Mittelpunkt ihres Alltags. (…) Sie versuchen z.B. möglichst viele Informationen von den professionellen Helfern über die Betroffenen und ihren Krankheitsverlauf zu erhalten. (…) Angehörige wollen auch lernen, wie sie mit den Betroffenen umgehen können… sie wollen den Genesungsprozess beeinflussen und nicht tatenlos am Patientenbett sitzen. (…) Professionelle Helfer haben somit Einfluss auf die weiteren Handlungen der Angeh.. Beziehen sie diese mit ein und betrachten sie sie als das, was sie sind, nämlich Mitbetroffene, fühlen sich diese verstanden, respektiert und integriert. (…) Die A., die die Betroffenen mit nach Hause nehmen, müssen nun lernen, den Versorgungsalltag und die verschiedenen Behandlungsprozesse zu handhaben. Sie gewinnen mit der Zeit an Sicherheit und bewältigen den komplexen Alltag. Sie werden für die Betroffenen unentbehrlich und versuchen alles zu tun, um deren Zustand zu verbessern. Die Fokussierung auf die Betroffenen führt aber auch zu sozialer Vereinsamung und zu einer hohen körperlichen und psychischen Belastung. (…) Professionelle Helfer haben von Beginn an Einfluss auf das Handeln der A.. Sie sind in der Lage, die jeweiligen Bedürfnisse zu erkennen, erleichtern sie die „Karriere“ als pflegende Angehörige. Angehörige hoffen IMMER, dass die Betroffenen wieder wach werden(…).“

In diesem Gastbeitrag erzählt eine junge Frau, vom Leben mit ihrem wachkomatösen Vater! Ich freue mich darüber, dass sie mir und Euch einen kleinen Einblick gewährt…
„Hallo ihr Lieben! Ich möchte Euch einmal berichten, wie es ist einen Vater im Wachkoma gehabt zu haben… Also als mein Vater verunglückt ist, war ich 1 Jahr alt. Er hatte einen schweren Verkehrsunfall, wodurch er ein schweres Schädel-Hirn-Trauma erlitt und von da an lag er im Koma, 22 Jahre, bis er an einer Lungenentzündung verstarb. Dadurch, dass wir sehr klein waren, ist mein Vater in ein Pflegeheim gekommen und meine Mutter war jeden Tag 2-4h bei ihm. Zudem hatte er viele Therapien, Physiotherapie Klangschalentherapie und auch Logopädie. Wachkomapatienten werden eigentlich nicht beatmet, mein Vater hat aber einen offenen Luftröhrenschnitt gehabt, worüber er sein Sekret abgehustet hat. Dies wurde unter anderem von der Logopädie beübt. Physiotherapie bekam er, um die Kontrakturen so gering wie möglich zu halten. Klangschalen-Therapie bekam er, weil man gemerkt hatte, dass die Spastik lockerer unter der Therapie wurde. Er wurde über eine Magensonde ernährt und hatte auch eine Baklophen Pumpe, um die Spastik auch dadurch zu lockern. Die Therapie nahm also einen großen Teil ein. Oft kommen die Fragen wie es denn für mich war, einen Vater in diesem Zustand zu haben. Naja, ich bin damit aufgewachsen, für mich war es normal. Ich bin damit groß geworden. Ich habe ihm zum Vatertag Sachen gebastelt, die wurden in seinem Zimmer aufgehangen und genau nach Jahreszeit wurde sein Zimmer dekoriert. Anfangs war ich auch fast täglich nach der Schule da, was sich aber auch je älter man wird natürlich verändert und man ist nicht mehr so regelmäßig da. Und die Frage die einem am meisten gestellt wird ist, hat er etwas mit bekommen? Ich glaube ganz fest ja, grade als ich aus meiner Heimat weggezogen bin und meine Ausbildung gemacht habe und einmal länger nicht da war gab es z.B. eine Situation, wo ich ihn nach Monaten besucht habe. Als ich dann da war und „Hallo Papa!“ sagte, fing er an zu krampfen, was nicht unüblich ist, aber ich glaube, dass das genau in der Situation aus Freude passiert war, weil er einen total aufmerksamen Blick hatte in diesem Moment.
Ich glaube, wenn man so normal wie möglich damit umgeht, ist es einfacher damit zu leben und den Umgang hatten wir. Er war unser Vater und das ist er egal in welchem Zustand man ist 😊 LG“