Was ist orale Stereognose?

Habt ihr schon einmal versucht einen Gegenstand nur durch Ertasten zu erkennen und benennen? Die Fähigkeit dies zu können, nennt man Stereognosie.

Stereowas? Was genau soll das sein und was hat es mit der Logopädie zu tun? Im Allgemeinen verbirgt sich hinter Stereognosie die Fähigkeit einen Gegenstand durch bloßes Ertasten erkennen zu können.

Gehen wir nun mehr ins Detail. Habt ihr schon einmal versucht mit eurer Zunge und eurem Mundraum einen Gegenstand zu erkennen? Diese Fähigkeit nennt man orale Stereognose und sie bezeichnet das Vermögen mit seinen Mundorganen Objekte zu tasten, testen, also zu identifizieren und diskriminieren ohne Zuhilfenahme der Augen. Die oralen Funktionen wie Saugen, Kauen, Schlucken und Artikulieren beruhen auf Leistungen der oralen Stereognose. Wusstet ihr, dass unser Mundraum mehr als jedes andere Körperorgan mit Sinnesrezeptoren ausgestattet ist.

Unsere Mundschleimhaut, Zunge und Zähne sind Tastorgane für alles, was in den Mund gelangt. Unsere Schleimhautrezeptoren leiten Empfindungen wie Schmerz, Berührung und Temperatur weiter. Unser orales Empfinden ist eng mit Wohlbefinden und Lust oder Ablehnung und Ekel verknüpft. Unser orales Tastvermögen vermittelt auch die räumlichen Verhältnisse unserer Mundhöhle

Wie verläuft die Entwicklung der oralen Sensilbiltät? Die orale Wahrnehmung beginnt sich bereits beim Embryo im Mutterleib zu entwickeln. Bei der Geburt ist die taktil-kinästhetische Empfindung (Oberflächensensibilität/Tiefensensibilität) weiter entwickelt als z.B. die der Hand. Durch das Saugen lernt das Baby das Tasten, Schmecken, Fühlen und Empfinden und erfährt dabei Behagen und Geborgensein. Als haptisches (tastendes) Organ, dienen die vielfältigen Sinnesempfindungen der Information, was der Mund alles kann und dem Entdecken und Erkunden der nahen Objekte. Mit ca. 6 Jahren ist der Reifungsprozess der oralen Stereognose zu 80%, mit 12-15 Jahren abgeschlossen.

Die oralstereognostische Fähigkeit hängt von den Organen, Nervenbahnen und der Reifung des Gehirns ab. Faszinierenderweise stellt sie eine der höchstentwickelten Leistungen des Menschen dar und ist wesentlich an den Praxien im Mundraum beteiligt. Die Rückmeldung von kleinsten Druck- und Bewegungsveränderungen von Lippen, Zunge, Gaumen und Unterkiefer bestimmen eine fließende und optimal gesteuerte Bewegungsführung, für die automatisierten Abläufe, wie z.B. beim Sprechen. Defizite in den oralstereognostischen Fähigkeiten können am Entstehungsprozess von gestörten oralen Bewegungsmuster, wie beim Sprechen und Schlucken beteiligt oder für eine offene Mundhaltung verantwortlich sein.

Eine offene Mundhaltung, unkontrollierter Speichelfluss, eine heraushängende Zunge, Zungenpressen und auch die Kaufaulheit sind also nicht nur Symptome myofunktioneller Störungen (orofazialer Dysfunktionen), sondern auch sensorischer Fehlleistungen.

Tests zur oralen Stereognose sind ein wichtiges Diagnostikinstrument zur Beurteilung der oralen Sensibilität und der oralsensorischen Fähigkeiten. Sie geben mir als Therapeutin Informationen darüber, inwieweit sensorische Mängel Kofaktoren orofazialer Dysfunktionen und Aussprachestörungen sind und in der Therapiegestaltung berücksichtigt werden müssen.

Mit Hilfe von Testplättchen mit unterschiedlichen Formen wird die stereognostische Fähigkeit überprüft. Kinder mit eingeschränktem Tastvermögen und unausgereifter Stereognose bewegen die Plättchen plump im Mund, suchen nach einer Diskrimination mit den Zähnen oder Lippen und machen viele Fehler im Identifizieren der Plättchen.

Die Förderung der oralen Stereognose sollte Bestandteil in der Therapie myofunktioneller Störungen (MFT) sein, da sie zu einem rascheren Therapieerfolg beitragen könnte.

 

Sets wie diese bieten eine tolle Möglichkeit aus Lebensmitteln wie Äpfeln oder Möhren Stereognosematerialien zu formen. Hat das Kind eine gewisse Reife erlangt, dann können die Figuren in den Mund gegeben werden und nach dem Ertasten mit Genuss verspeist werden. Sollte man sich unsicher fühlen, dann sind die Figuren mit einem Faden zu sichern, um evtl. Verschlucken zu verhindern. „Genascht“ werden können sie dann im Anschluss auch.

Probiert es doch einfach einmal aus. Setzt das Gelesene um und schaut mal, wie es sich anfühlt kleine Objekte mit eurem Mundraum zu ertasten….

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